Die Demokratie, die wir meinen

Was sich ändern muss!

Wenn von direkter Demokratie die Rede ist, dann werden immer wieder die Möglichkeiten dazu auf kommunaler Ebene betont. Offenbar werden diese Instrumente in Sachsen noch nicht ausreichend oft genutzt. Das liegt aber nicht nur an der Unerfahrenheit oder Politikferne der Bürgern, auch und gerade die verantwortlichen Politiker und Verwaltungsmitarbeiter müssen lernen damit umzugehen, bevor es zu spät ist.

Wovon sprechen wir, wenn wir von Demokratie sprechen? Sehr lange Zeit konnte diese Frage in der BRD sehr einfach beantwortet werden: Demokratie meint in unserem Fall repräsentative Demokratie! Und auch die Bürger der neuen Bundesländer haben nach der Eingliederung in die Bundesrepublik zunächst die freie Wahl ihrer Repräsentanten in Kommune, Land und Bund als den direktesten Zugang zur Politik im Demokratischen Staat erfahren. Sozusagen demokratische Praxis par excellence. Parteien und andere Interessengruppen wetteifern im Wahlkampf um die Gunst der Wähler, machen Versprechen, setzen Themen und versuchen damit den Nerv der Bürger zu treffen. Nach der Wahl spielt sich Politik dann wieder allzu oft innerhalb der politischen Eliten und der Einflussreichen Lobbygruppen ab. Wenn mag es da wundern, dass verschiedene Studien und Umfragen immer mehr Enttäuschung und Unzufriedenheit, Politik- und Demokratieverdruss unter den Bürgern registrieren. Die Distanz zwischen Regierenden und Regierten vergrößert sich zusehends und es greift das Gefühl um sich, als lebten die Politiker auf einem anderen Planeten und hätten keine Ahnung vom Alltag der Bürger, als wüsten sie nicht, was die Bürger tatsächlich beschäftigt.

Die Gefahren, die eine solche Situation mit sich bringt haben die Politiker natürlich registriert und erwähnen diese Erkenntnis auch in schöner Regelmäßigkeit (obwohl die Sorge um das Abdriften der Bürger an die politischen Ränder natürlich besonders von Wahlen auffällig hoch ist). Politiker aller Lager zeigen sich tief besorgt und fordern die Bürger dazu auf, wieder mehr am gesellschaftspolitischen Diskurs teilzunehmen. Doch in den meisten Fällen bleibt es bei der Aufforderung und der Intensivierung der „bürgernahen“ Öffentlichkeitsarbeit. Vorschläge und Projekte, die auf eine echte Veränderung der politischen Praxis zielen sind in diesem Zusammenhang eher die Ausnahme und der Status quo bleibt erhalten. Denn bei genauerer Betrachtung hat sich auch diese Strategie der Politiker und Parteien schon überlebt. Die Bürger schnappen längst nicht mehr instinktiv und unbedingt nach jedem Fleischlosen Knochen, der ihnen von Politik und Verwaltung hingeworfen wird. Die Menschen haben längst registriert, dass mit dem bloßen Bekenntnis zur Veränderung, mit pseudodemokratischen Regelungen zur Anhörung, bei gleichzeitigem beibehalten der Machtverhältnisse zwischen Politik, Verwaltung und Bürgern nichts verändern lässt. Die Menschen wollen nicht länger als ohnmächtige Legitimationsmasse instrumentalisiert werden. Echte Mitbestimmung, echte Entscheidungsmacht ist gefragt.

Politiker führen in diesem Zusammenhang oft die Möglichkeiten an, mit Bürgerbegehren in der Kommune und Volksbegehren im Land direkt an Entscheidungen mitzuwirken. In der Tat, besonders die Kommune scheint prädestiniert die Mittel und Instrumente der direkten Demokratie einzuüben und damit einen Wandel in der Beziehung der Bürger zur Politik einzuleiten und zu beschleunigen. Die möglichen Themen sind, in der Regel, weniger komplex und betreffen die Bürger meist unmittelbar (man denke nur an Themen wie Eingemeindungen, Schulschließungen, Privatisierung kommunalen Eigentums, Bauvorhaben etc.) In manchen Bundesländern, wie zum Beispiel Bayern funktioniert das auch schon recht gut. Doch ein Blick auf Sachsen zeigt besteht kein Automatismus zwischen der bloßen Möglichkeit zur Mitbestimmung und der Nutzung durch die Bürger. Es ist schwer zu glauben, dass die Sachsen rundum einfach nur zufriedener mit der Arbeit ihrer Politiker sind als die Bayern oder die Bürger anderer Bundesländer.

Die Menschen müssen lernen mit den Instrumenten der direkten Demokratie umzugehen und diese Möglichkeiten in zunehmendem Maße zu nutzen. Ein Blick in die sächsischen Kommunen zeigt durchaus, dass die Bürger der Politik und den Belangen der Kommunen nicht etwa apathisch gegenüberstehen, sie haben sehr wohl ein Interesse die Dinge in ihrem Sinne zu entscheiden. Doch immer wieder machen engagierte Bürger auch die Erfahrung, dass auch die Politiker und Mitarbeiter der Verwaltungen noch viel zu lernen haben. Denn anstatt sich über den Bürgerwillen zur Mitgestaltung zu freuen, sehen Bürgermeister und Gemeinderäte ihre Kompetenzen gefährdet. Ein etwas abwegiges Verständnis der eigenen Befugnisse, der eigenen Macht, spielt in diesem Zusammenhang sicher auch eine Rollen. Das Ergebnis ist in den meisten Fällen gleich, nicht selten entspinnt sich ein erbitterter Kampf mit allen Mitteln. Da werden Initiativen und Initiatoren verbal als Querulanten und Quertreiber diskreditiert, jede erdenkliche bürokratische Spitzfindigkeit genutzt um den Bürgerentscheid zu verhindern. Im Fall des Bürgerbegehrens in der kleinen Gemeinde Falkenau, in der Bürger gegen die Stilllegung der örtlichen Grundschule ein Bürgerbegehren einleiten wollten wurde ihnen, mit Verweis auf rechtliche Regelungen die Herausgabe des betreffenden Gemeinderatsbeschlusses verweigert, auf Nachfrage bestätigte die zuständige Dienstaufsichtsbehörde, dass es keinerlei derartige Regelungen zum Umgang mit öffentlichen Beschlüssen gebe. Bei der Abgabe der Unterschriftenlisten im Falkenauer Rathaus wurde versucht die Initiatoren zu verunsichern, indem ihnen die Kosten für die Prüfung der Unterschriften in Aussicht gestellt wurden. Das ist natürlich falsch, aber wer kann sagen, wie viele Bürger, die Rechnung für die Unterschriftenprüfung vor Augen, in letzter Minute von einem Bürgerbegehren Abstand nehmen. Die Regelungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in der sächsischen Gemeindeordnung enthalten viele formale Vorschriften, die von den Bürgern zu beachten sind und es ist nicht selten der Fall, dass Begehren, obwohl sie die geforderte Anzahl an Unterstützungsunterschriften erreicht haben, aus formalen Gründen zurückgewiesen werden bzw. für unzulässig erklärt werden. Wie im Fall Steinigtwolmsdorf, wo der Gemeinderat ein Bürgerbegehren zur freiwilligen Eingemeindung für unzulässig erklärt hat, weil der Abstimmungsgegenstand nicht in Frageform formuliert wurde und der Begriff Zusammenschluss verwendet wurde. Aufgrund dieser formalen Beanstandungen werden die Bürger um ihr demokratisches Recht gebracht selbst über ihre Kommune zu entscheiden. Denn die Notwendige Legitimation lag in Form der ausreichenden Menge von Unterschriften vor. Offenbar hatten die Bürger das Bedürfnis in der Frage der Eingemeindung eine Entscheidung herbeizuführen, doch anstatt diese Debatte inhaltlich zu führen, verweigerte sich der Rat und machte Formalien geltend.

Diese Situation zeigt in aller Deutlichkeit was sich ändern muss. Nur wenn die zuständigen Politiker und Verwaltungsmitarbeiter erkennen, dass sie ihr Verhalten gegenüber den Bürgern und deren Wüschen ändern müssen, ist der Trend zu Politik- und Demokratieverdruss zu stoppen. Politiker sollten sich auf die Diskussion mit dem Bürger einlassen, sie sollten zulassen, dass die Bürger entscheiden, wenn sie entscheiden wollen. Auch und gerade dann wenn sich eine Initiative gegen die Mehrheitsmeinung des Rates richtet, denn das ist Demokratie. Wenn es Politikern nicht gelingt die Bürger von der Richtigkeit bzw. der Notwendigkeit einer bestimmten Entscheidung zu überzeugen, dann müssen sie weiter um die Zustimmung der Bürger ringen, durch eine Diskussion auf Augenhöhe, dass heißt mit der Möglichkeit für die Bürger die Entscheidung der Politiker zu korrigieren. Politiker und Verwaltung dürfen sich nicht länger aufgrund formaler Einwände der inhaltlichen Debatte verweigern. Denn jede Zurückweisung dieser Art erhöht die Frustration in der Bevölkerung und erweitert die Gräben zwischen Politik und Bürger. Das kann nicht im Interesse eines demokratischen Staates sein.