von Nicola Quarz und Ralf-Uwe Beck
Einen Tag vor Heiligabend haben 14 Jugendliche gemeinsam mit Mehr Demokratie eine Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Damit soll das Wahlrecht für 16- und 17-Jährige durchgesetzt werden.
Mehrere Jugendliche haben Einspruch beim Bundestag gegen die EU-Wahl vom 26. Mai dieses Jahres eingelegt, weil sie aufgrund ihres Alters noch nicht wählen durften. Diese Einsprüche sind vom Bundestag abgewiesen worden. Dagegen besteht die Möglichkeit, Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Das haben 14 Jugendliche gemeinsam mit Mehr Demokratie getan. Als Prozessbevollmächtigte konnten wir die Professoren Dr. Hermann Heußner und Dr. Arne Pautsch, beide Mitglied im Kuratorium von Mehr Demokratie, gewinnen.
Die juristische Argumentation
Weder das Grundgesetz noch das Europarecht schreiben ein Mindestalter für die Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament vor. Art. 38 Grundgesetz legt ein Wahlalter von 18 Jahren fest – allerdings nur für die Bundestagswahl.
Damit steht bei den EU-Wahlen jedem Staats- und EU-Bürger das Wahlrecht ohne Alterseinschränkung zu. Es gilt Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“
Das Wahlalter für die EU-Wahl wird in § 6 EU-Wahlgesetz auf 18 Jahre festgelegt. Da aber das Grundgesetz kein Wahlalter für die EU-Wahl festlegt, greift § 6 in das Grundrecht aus Art. 3 ein. Das ist verfassungswidrig.
Der Ausschluss von 16- und 17-Jährigen verstößt auch gegen das Demokratieprinzip, das in Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz festgelegt ist („Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“). Wer nicht wählen darf, wird in seinem Recht auf Demokratie verletzt.
Von der Wahl ausgenommen darf nur sein, wer nicht einsichts- und urteilsfähig ist. 16- und 17-Jährige aber sind hinreichend einsichts- und urteilsfähig, um eine vernünftige Wahlentscheidung zu fällen.
Der Entzug des Wahlrechts bringt die 16- und 17-Jährigen um ihr demokratisches Existenzminimum. Sie haben keine Stimme mehr, haben aber die meisten Lasten der Gesetze zu tragen, die von Abgeordneten beschlossen wurden, an deren Wahl sie nicht beteiligt waren.
Der Bundestag hat mit Gesetz vom 18. Juni 2019 den Ausschluss vollständig betreuter Menschen von EU- und Bundestagswahlen abgeschafft. Damit haben alle volljährigen Personen das Wahlrecht, unabhängig von ihrer persönlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Spätestens seit diesem Gesetz wäre es absurd, Personen, die zweifelsfrei einsichts- und urteilsfähig sind, das Wahlrecht vorzuenthalten.
Das Argument, das Wahlalter müsse an die Volljährigkeit gekoppelt sein, zieht nicht. Der Bundestag selbst hat sich von dieser Abhängigkeit getrennt: Das heutige Wahlalter für die Bundestagswahl wurde 1972 beschlossen, die Volljährigkeit erst 1975 auf 18 Jahre gesenkt. Für die Bundestagswahl 1972 waren also Volljährigkeit und Wahlalter nicht identisch. Das ist auch nicht notwendig, denn bei einer Wahl handelt es sich um ein Massenverfahren, bei dem der Einzelne auf ein Angebot reagiert, dieses aber nicht gestalten kann. Das unterscheidet den Wahlakt vom allgemeinen Rechtsverkehr, für den die Volljährigkeit notwendig ist.
Die Autorin Nicola Quarz ist Juristin bei Mehr Demokratie.
Der Autor Ralf-Uwe Beck ist Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie.