Koalition kündigt Verfassungsreform an

Die Koalitionsfraktion haben bekanntgegeben, dass die geplante Verfassungsreform noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden soll. Damit würde auch die Volksgesetzgebung erleichtert werden. Mehr Demokratie begrüßt die Ankündigung, die aber auch Wermutstropfen beinhaltet.


Kommt sie nach langem Warten doch? Am 2. November gaben die Koalitionsfraktionen von CDU, Bündnis '90 / Die Grünen und SPD bekannt, dass die beabsichtigte Verfassungsreform noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden soll. Mehr Demokratie begrüßt das ausdrücklich. Erst Ende August haben wir Ministerpräsident Michael Kretschmer 5.555 Unterschriften für eine Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Reform übergeben.
Doch was genau wurde nun vereinbart und wie sind die einzelnen Ankündigungen zu bewerten?

 

Volksantrag

Das Quorum für einen erfolgreichen Volksantrag soll von 40.000 Unterschriften auf 0,6 Prozent der Stimmberechtigten gesenkt werden. Das entspricht in etwa 20.000 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern ab 18 Jahren. Der Volksantrag ist Vorschlagsrecht aus der Mitte der Bevölkerung. Die Bürgerinnen und Bürger können so eine Sachfrage an den Landtag herantragen, der sich mit der Frage befassen, dem Anliegen aber nicht zustimmen muss. Es handelt sich beim Volksantrag vor allem um ein Dialoginstrument, das Gesprächsbedarf aufzeigt und Angebote schafft. Bürgerinnen und Bürgern erhalten die Chance, Debatten anzuregen und Themen auf die politische Agenda zu setzen. Eine niedrigere Hürde ist deshalb dringend geboten. Zum Vergleich: Ein Quourm in Höhe von 20.000 Unterschriften gibt es in Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein, in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen liegt sie bei 0,5 Prozent.

Zudem ist es wichtig, dass die Hürde an einen relativen Wert (Prozentsatz) und nicht an eine absolute Zahl geknüpft wird. Ist das Quorum wie bisher über eine fixe Unterschriftenzahl festgelegt, so erhöht es sich de facto, wenn die Einwohnerzahl und damit die Zahl der Stimmberechtigten sinkt.

Zwischenfazit: Die Senkung des Quorums beim Volksantrag wäre ein sehr guter Reformschritt.

 

Volksbegehren

Sachsen hat die bundesweit höchste Hürde für Volksbegehren. Für ein erfolgreiches Volksbegehren müssen innerhalb von sechs Monaten müssen 450.000 Wahlberechtigte unterschreiben. Das entspricht knapp 2.500 Unterschriften pro Tag. Mit diesem prohibitiven Unterschriftenquorum existiert direkte Demokratie quasi nur auf dem Papier. Gemäß des Vorschlags der Koalition soll das Quorum auf 6 Prozent der Stimmberechtigten gesenkt werden. Das entspricht in etwa 200.000 Unterschriften.

Wie schon beim Volksantrag ist die Abänderung des Quorums von einer absoluten Zahl hin zu einer Prozenthürde ebenfalls positiv zu bewerten.

Zwischenfazit: Die Senkung des Quorums beim Volksantrag wäre ein sehr guter und dringend benötigter Reformschritt.

 

Volksentscheid

Sachsen ist neben Bayern das einzige Bundesland, in dem bei einem Volksentscheid die einfache Mehrheit der Abstimmenden entscheidet. Damit ist der Freistaat bundesweit Spitze. Aufgrund des hohen Unterschriftenquorums für Volksbegehren gab es jedoch seit 1993 erst einen Volksentscheid.

Die Koalition plant nun aber die Einführung eines Zustimmungsquorums in Höhe von 20 Prozent. Das hieße, dass bei einem Volksentscheid nicht mehr allein die einfache Mehrheit entscheidet, sondern auch mindestens 20 Prozent aller Stimmberechtigten der vorgelegten Abstimmungsfrage zustimmen müssen. Aus Sicht von Mehr Demokratie ist das ein deutlicher Rückschritt. Zustimmungsquoren begünstigen Boykottaufrufe und eine "asymmetrische Demobilisierung", das heißt, dass die Gegenseite bei Abstimmungen häufig nicht zur Teilnahme am Volksentscheid aufruft. So kann sich keine öffentliche Diskussion entfalten oder auch das Ergebnis verfälscht werden.

Zwischenfazit: Die Einführung eines Zustimmungsquorums beim Volksentscheid wäre ein Rückschritt. Bei Volksentscheiden sollte wie gehabt die Mehrheit der Abstimmenden entscheiden. Sollte ein Zustimmungsquorum kommen, muss bei der Reform des Abstimmungsgesetzes zwingend die Regel eingeführt werden, dass vom Grundsatz her Volksentscheide mit Wahlen zusammengelegt werden und nur im Ausnahmefall und mit Zustimmung der Initiative der Abstimmungstag gesondert angesetzt wird.


Die nachteiligen Effekte von Beteiligungs- und Zustimmungsquoren hat Mehr Demokratie in einem Positionspapier dargelegt.

 

Volksklage

Im Koalitionsvertrag kündigten CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD an, die Einführung eines fakultativen Referendums ("Volkseinwands") zu prüfen. Das wäre eine echte Innovation. Sachsen könnte ein kleines Stück bundesweite Demokratiegeschichte schreiben, denn momentan kennen nur Hamburg und Bremen fakultative Referenden und das auch nur in Ausnahmefällen. Mit dem fakultativen Referendum besteht die Möglichkeit, vom Landtag beschlossene Gesetze nach einem Volksbegehren mit kürzerer Sammelfrist noch einmal zur Abstimmung zu stellen. Auf kommunaler Ebene ist dieses Prinzip bereits als kassatorisches Bürgerbegehren bzw. Korrekturbegehren fest etabliert.

Im aktuellen Reformvorschlag ist das fakultative Referendum nicht enthalten. Stattdessen soll eine "Volksklage" als Vetoinstrument eingeführt werden. Mit der Volksklage soll es möglich sein, ein vom Landtag beschlossenes Gesetzes vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Hierfür müssen, wie auch beim Volksantrag, 0,6 Prozent der Stimmberechtigten unterschreiben.

Zwischenfazit: Mit der Einführung einer Volksklage anstelle eines fakultativen Referendums ("Volkseinwands") würde Sachsen eine große Chance verpassen.

 

 

Fazit

Die Verfassung des Freistaats Sachsen kann nur geändert werden, wenn dem zwei Drittel der Mitglieder des Landtags zustimmen. Noch ist also nichts beschlossen, es bedarf auch der Stimmen der Fraktion von Die Linke. In einer Phase, in der das Vertrauen in die Demokratie und die politischen Institutionen zunehmend sinkt, ist die Ankündigung, dass dass die Verfassungsreform noch in dieser Wahlperiode kommen soll, eine gute Nachricht.

Zu den angekündigten Veränderungen bei der direkten Demokratie auf Landesebene zieht Mehr Demokratie als Fachverband eine gemischte Bilanz. Die wichtigste Veränderung ist die Senkung des Unterschriftenquorums bei Volksbegehren. Sie kann die direktdemokratische Kultur und die Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger bei ihnen wichtigen Sachfragen beleben. Negativ ins Gewicht fällt vor allem die Einführung eines Zustimmungsquorums beim Volksentscheid. Sollte diese neue Hürde kommen, muss das Abstimmungsgesetz dahingehend geändert werden, dass der Abstimmungstag an einen Wahltag gekoppelt wird. Das ist in vielen Bundesländern eine übliche und eingeübte Praxis.

Mit der fehlenden Einführung oder zumindest Prüfung des Volkseinwands würde Sachsen die Chance verpassen, ein kleines Stück Demokratiegeschichte zu schreiben.

Dennoch: Mit einer Verfassungsreform können in dieser Wahlperiode wichtige Verbesserungen für direkte Demokratie erzielt werden, zumal bereits 2022 die Gemeinde- sowie Landkreisordnung novelliert wurden. Dabei wurden die Hürden für Bürgerbegehren und zum Teil auch für Bürgerentscheide gesenkt. Im Volksentscheidsranking von Mehr Demokratie würde Sachsen somit einen Sprung nach vorne machen.