In den nachfolgend skizzierten Ländern begannen rechtspopulistische Kräfte nach ihren Wahlsiegen früher oder später, die liberale Demokratie und die mit ihr verbundene Freiheit zu schwächen, indem sie Grundrechte und die Gewaltenteilung aushöhlten.
In Ungarn hat Viktor Orbán das politische System grundlegend umgebaut, in Polen hat die PiS-Regierung die Unabhängigkeit der Gerichte angegriffen, und auch in den USA, Brasilien und Italien gab und gibt es ähnliche Tendenzen. Es entwickelte sich im Nachgang demokratisch erzielter Wahlsiege ein Illiberalismus, der nur wenig Respekt vor Rechtsstaatlichkeit zeigt. Damit einher gehen in den meisten Fällen eine Schwächung von gesellschaftlichem Pluralismus und der Versuch, kritische Stimmen in der öffentlichen Debatte an den Rand zu drängen. Dies zeigt sich zum Beispiel in Bestrebungen, unabhängige Medien einzuschränken oder gar abzuschaffen, wie es Zsuzsanna Szelényi aus Ungarn oder auch Federico Fubini aus Italien berichten.
Bei allen internationalen Parallelen hat Deutschland natürlich seinen ganz eigenen Kontext: Die Schrecken des Nationalsozialismus und die Diktaturerfahrung in der ehemaligen DDR haben sich tief in unsere „kollektive Psyche“ eingeschrieben. Lehren aus totalitären Erfahrungen haben 1949 Eingang in das Grundgesetz gefunden, das an vielen Stellen mit Schutzmechanismen ausgestattet ist, die Deutschland (zumindest auf Bundesebene) vor den o.g. Entwicklungen bewahren sollen.
Zudem gehört der Anspruch, wachsam vor einer etwaigen Wiederholung von Geschichte zu sein, zu den wiederkehrenden Motiven der deutschen öffentlichen Debatte.
Und doch sind auch unsere Institutionen und (vermeintlichen) Gewissheiten nicht unverletzlich: So zeigen etwa Juristinnen und Juristen im sogenannten Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs auf, welche zusätzlichen Schutzmechanismen in Thüringen nötig wären, um im Falle eines Wahlsiegs autoritär-populistischer Kräfte mögliche Angriffe auf den Rechtsstaat abzuwehren.
Eine offene Frage bleibt also, wie man sich Populismus und vor allem autoritärem Populismus entgegenstellen kann, ohne sich auf dessen Logik einzulassen und seine Argumentationsformen zu übernehmen.
Angesichts der Landtagswahlen im Herbst 2024 in Teilen Ostdeutschlands und der Bundestagswahl 2025 zeigen sich viele Menschen in Deutschland besorgt im Hinblick auf einen möglichen Wahlsieg verfassungsfeindlicher Kräfte. Zwar scheint Deutschland im Bund derzeit noch nicht vor einer illiberalen Übernahme zu stehen, da eine bürgerschaftlich gefestigte Mitte der Gesellschaft mehrheitlich zu demokratischen Kräften steht. Dennoch sehen wir schnell wachsende Erfolge illiberaler Parteien, und teils, wie oben angedeutet, auch deren Aussicht auf die Macht in einigen Bundesländern.
Zudem müssen wir, so zeigen es unzählige Forschungen zur gesellschaftlichen Dynamik in Deutschland, ein chronisches Vertrauensproblem zwischen Bürgerschaft und Politik attestieren.
Umso wichtiger also, dass sich demokratische Akteurinnen und Akteure auf alle möglichen Eventualitäten vorbereiten.
Der Abbau der Demokratie macht nicht immer Lärm
Besonders Entwicklungen in Italien zeigen uns, dass der Abbau des Rechtsstaates und des Pluralismus nicht immer mit einem Knall am „Tag danach” einhergehen, sondern teilweise auch langsam und leise vonstattengehen. Dies sollte uns aufhorchen lassen.
Hierzulande können wir beobachten, wenn es um mögliche Wahlsiege (rechts-)extremer politischer Kräfte geht, scheint es bei einigen Deutschen ein paradox anmutendes Vertrauen in die Resilienz demokratischer Institutionen zu geben. Menschen, die mit dem Gedanken spielen, derlei Parteien zu wählen, scheinen häufig davon überzeugt zu sein, dass die anderen, etablierten Kräfte in der Lage sein werden, diese in Koalitionen einzuhegen. Die Wählerinnen und Wähler scheinen zudem darauf zu vertrauen, Parteien in jedem Fall wieder abwählen zu können, wenn sie nicht die gewünschten politischen Ergebnisse liefern.
Dabei handelt es sich interessanterweise häufig genau um solche Bevölkerungsgruppen, die eigentlich der Qualität des politischen Systems insgesamt stark misstrauen.
Sind wir, wo es sonst Politikschelte hagelt, an dieser Stelle zu arglos? In der Frage, ob unsere Demokratie bedroht ist oder nicht, geht es immer auch um Definitionshoheit. Offiziell oder zumindest laut Wahlprogramm möchte keine der derzeit im Bundestag vertretenen Parteien die Demokratie einengen oder gar abschaffen.
Im Gegenteil, viele beanspruchen für sich, sie schützen zu wollen. So plakatieren zuweilen auch Parteien, die in Teilen als klar verfassungsfeindlich eingestuft werden, im Wahlkampf: „Demokratie bewahren!“.
Der Kampf gegen Illiberalismus braucht Bereitschaft zur Selbstreflexion
Eine zentrale Lehre aus den Entwicklungen in den o.g. Ländern ist schließlich, dass im Kampf gegen den Illiberalismus nicht nur die klare Benennung der Gefahr wichtig ist, sondern auch die Fähigkeit zur konstruktiven Selbstreflexion und Selbstkritik demokratischer Kräfte.
Schon die Grundlagenstudie „Die andere deutsche Teilung“ von 2019 hat gezeigt, dass es in Deutschland neben gut eingebundenen Menschen auch Teile unserer Gesellschaft gibt, die keinen ausreichend erfüllenden Bezug zu unserem demokratischen Gemeinwesen finden. Sie werden „das unsichtbare Drittel“ genannt.
Im Ergebnis entsteht bei vielen Menschen das Gefühl, mit den eigenen Sorgen und Problemen allein zu sein und sich nicht auf die Gesellschaft und Politik verlassen zu können. Das ist eine große Herausforderung für eine liberale Demokratie, die zu großen Teilen von Vertrauen lebt – und von ihrer Fähigkeit, Zuversicht und Identifikationsflächen zu generieren. Menschen müssen sich und ihre Bedarfe in unserer Demokratie und ihren Angeboten erkennen können.
Letzten Endes geht es also um einen Zweiklang aus Wachsamkeit und Beziehungsarbeit.
Demokratie hängt einerseits und in unverzichtbarer Weise davon ab, dass Menschen ihre Regeln kennen und leben – und anderseits davon, dass sie Menschen auf Dauer ansprechen, überzeugen und motivieren kann.
Wir brauchen mehr robuste Vertrauensverhältnisse zwischen Bürgerschaft und Politik, mehr konstruktive Berührung und auch mehr inhaltliche Orientierungsangebote – die sich je nach politischer Couleur unterscheiden dürfen und sollen.
Dabei dürfen Rechtsstaatlichkeit, der Schutz von Minderheiten und Pluralismus – auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte – niemals verhandelbar sein.
Der Landesvorstand, September 2024