"Gedanken zur Demokratie": Wählen schon im Alter von 16 Jahren in Sachsen?

In der vierteljährlichen Reihe "Gedanken zur Demokratie" geht es um die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Der Landsevorstand fordert ein Wahlrecht für jüngere Menschen, auch zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts.

Warum ist es in Sachsen Zeit für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre? Wie sieht die Situation in anderen Ländern und Bundesländern aus? Welche Rolle spielt die Jugendbeteiligung für den Zusammenhalt in der Gesellschaft und die Lösung von Zukunftsfragen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der neue Beitrag zu den "Gedanken zur Demokratie".

Der Beitrag kann auch hier heruntergeladen werden. Alle Artikel zu "Gedanken zur Demokratie" stehen auch im Bereich "Landesvorstand" auf dieser Webseite zur Verfügung.

 

ZUSAMMENHALTEN

Beitrag des Landesvorstands, zweites Quartal 2023

 

Wählen schon im Alter von 16 Jahren in Sachsen?

Was im Freistaat Sachsen die Förderung der demokratischen Teilhabe und Mitbestimmung der Bürger im Vergleich mit anderen Bundesländern angeht, besteht ein nicht unerheblicher Handlungsbedarf, wie ein Ländervergleich zeigt.

Wo darf man in Deutschland schon jetzt ab 16 wählen?
Als erstes Bundesland hat Niedersachsen 1996 das Wahlrecht ab 16 auf Kommunalebene eingeführt. Außer in Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Bayern und im Saarland dürfen 16-Jährige inzwischen an allen Kommunalwahlen teilnehmen. Mittlerweile können Jugendliche ab 16 Jahren in sechs Bundesländern auf Landesebene über Wahlen und Abstimmungen mitentscheiden. Das will auch Berlin voraussichtlich ab 2023 ermöglichen. Bei der nächsten Europawahl 2024 können 16-Jährige ihre Stimme abgeben. Die Regelungen zum Wahlalter sind bis heute jedoch überall unterschiedlich. Berechtigt steht daher die Forderung im Raum, ein einheitliches Wahlalter für alle Länder in Deutschland einzuführen.

Übrigens, im benachbarten Österreich dürfen 16-Jährige schon seit 2007 ihre Stimmen für das österreichische Pendant des Bundestags, den Nationalrat, abgeben, während das offizielle Wahlalter in Deutschland noch bei 18 Jahren liegt, so auch in Sachsen.

Wählen mit 16 Jahren ist vom Europaparlament und Europarat längst empfohlen, allerdings in Deutschland nur teilweise auf kommunaler und noch deutlich geringer auf Landesebene umgesetzt. Das Thema wird vor dem Hintergrund einer Reihe von Fragen und Bedenken hierzulande seit längerem kontrovers diskutiert.

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung (2015) hat aufgezeigt, dass die jüngeren Wähler weniger werden. Gleichzeitig ist ihre Wahlbeteiligung unterdurchschnittlich und sozial besonders selektiv. In den Wahlergebnissen sind sie schon heute deutlich unterrepräsentiert und das war nicht immer so. Die geringe Wahlbeteiligung der Jüngeren schadet der Demokratie und verschärft bestehende Ungleichheiten. Über Alters-und Kohorteneffekte bestimmt sie zudem das Niveau der Gesamtwahlbeteiligung. Eine weiter sinkende Erstwahlbeteiligung führt langfristig zu einer weiter stark sinkenden Wahlbeteiligung. Nicht übersehen werden darf, so die Studie, dass das Thema Wahlen in den Schulalltag gehört, denn „Wählen ab 16“ ist kein Selbstläufer. Nur wenn es durch nachhaltige Aktivierungsmaßnahmen für die Jugendlichen begleitet wird, erhöht es die Erstwahlbeteiligung. Gelingt das, kann „Wählen ab 16“ einen nachhaltigen Beitrag zur Steigerung auch der Gesamtwahlbeteiligung leisten. Das eigene Wahlrecht und die Teilnahme an Wahlen stabilisieren und erzeugen politisches Interesse und politisches Interesse führt zu einer verstärkten Wahlbeteiligung.

Die größte Gruppe der Wahlberechtigten in Deutschland hingegen stellen die Personen ab 70 Jahren. Ihr Anteil lag bei der Bundestagswahl 2021 bei 21,7 Prozent. Seit 2013 ist dieser Anteil um einen Prozentpunkt gestiegen, während der Anteil der Wähler im Alter zwischen 18 und 20 Jahren (3,2%) wieder leicht zurückgegangen ist. Eine Ursache liegt schon in der demografischen Altersstruktur unserer Gesellschaft begründet. Eine Absenkung des Wahlalters kann einer Überrepräsentation von alten Menschen entgegenwirken. Die durch die Dominanz der älteren wahlberechtigten Personen realisierten Wahlergebnisse können das Land sozial nicht mehr adäquat abbilden. Gerade Jugendliche haben eine fundierte Meinung zu den von den Landesparlamenten getroffenen Entscheidungen, da diese oft bindend und somit insbesondere für ihre Zukunft relevant sind.

Gesellschaftswissenschaftler kommen zu der Einschätzung, dass heutige 16-Jährige durchaus reif genug sind, politische Prozesse einzuordnen. Die junge Generation verlangt nach mehr Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen. Die Fridays-for-Future-Bewegung hat eindrucksvoll gezeigt, dass junge Menschen mitsprechen wollen, wenn politische Entscheidungen für nachfolgende Generationen Konsequenzen haben. Das sollte man wertschätzen, indem man sie wählen und damit teilhaben lässt an der Mitgestaltung gesellschaftlicher Prozesse. Viele der gängigen Vorurteile gegen eine Herabsetzung des Wahlalters erweisen sich als Mythen. Die Jugendlichen interessieren sich für Politik, wollen wählen, können auch wählen und sind durch gezielte Begleitmaßnahmen aktivierbar.

Überwiegend juristische Argumente werden von den Gegnern einer Wahlrechtsreform ins Feld geführt, während dagegen die Befürworter mehrere Vorteile in Bezug auf den Dialog unterschiedlicher Generationen sehen. Die Einbeziehung der jungen Generation ist eine Frage der Generationengerechtigkeit und sie dient der Stärkung des sozialen Zusammenhalts in einer Gesellschaft.

Obwohl die vom Bundestag unter Beteiligung aller Parteien eingesetzte Wahlrechtskommission u. a. die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre auf ihrer Agenda hat, besteht wegen der nötigen ⅔ Mehrheit im Bundesrat aufgrund der dort gegenwärtig gegebenen politischen Kräfteverhältnisse dafür kaum Erfolgsaussicht. Die Union lehnt diesen Vorschlag aus juristischen Beweggründen ab und auch deswegen, weil jüngere Wähler die CDU nicht wählen würden. Die ablehnende Haltung durch die AfD begründet sich maßgeblich auf rechtliche Bedenken. Beide Fraktionen begründen ihre Bedenken zudem mit der vermeintlich fehlenden Reife von 16- und 17-Jährigen.

Die Voraussetzungen in Sachsen für eine diesbezügliche Veränderung des Wahlrechts sind momentan vielleicht etwas positiver einzuschätzen. Die Linken-Fraktion hat ihren Gesetzentwurf zur Absenkung des Wahlalters in Sachsen in den Sächsischen Landtag eingebracht. Darin verlangt die Partei, dass Jugendliche ab 16 im kommenden Jahr nicht nur an den Europawahlen teilnehmen dürfen, sondern auch an den parallel dazu in Sachsen stattfindenden Kommunalwahlen. Außerdem soll die neue Altersgrenze für das aktive Wahlrecht künftig auch für Landtagswahlen und Volksabstimmungen gelten. Deshalb wirbt die Linke für eine Änderung der sächsischen Verfassung und von vier Wahlgesetzen auf Landesebene. Die SPD und die Grünen, schon lange Verfechterinnen für eine Herabsetzung des Wahlalters, konnten das Thema im aktuellen Koalitionsvertrag mit der CDU leider nicht verankern.

Wählen ab 16 ist ein Beitrag zur nachhaltigen Steigerung der Wahlbeteiligung. Wichtig in dem Zusammenhang ist der Grundsatz, dass jede Stimme, also jeder Wähler, das gleiche Gewicht haben muss. Das Gleichheitsprinzip ist eine tragende Säule unseres Wahlrechts und unserer Demokratie und darf nicht durch abstruse Vorschläge wie zum Beispiel einen Wahlführerschein oder andere das Wahlrecht modifiziert einschränkende oder beeinflussende Regelungen ausgehöhlt werden. Das alles ist verfassungsrechtlich nicht machbar und einer Demokratie unwürdig.

Unter dem Blickwinkel des gegenwärtig politisch Möglichen und Notwendigen empfehlen wir als Fachverband und Bürgerbewegung zur Weiterentwicklung der Demokratie in Sachsen neben einer Reihe von Reformmaßnahmen für die Stärkung der Direkten Demokratie auf Landesebene und auf der Ebene der Kommunen auch die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

Juni 2023
Der Landesvorstand