Mehr Demokratie begrüßt vorgesehene Verfassungsreform in Sachsen

+++ Niedrigere Hürden für Volksbegehren, aber Fachverband warnt vor Plebisziten durch die Hintertür

Mehr Demokratie begrüßt die geplante Verfassungsreform, die am morgigen Donnerstag (14.12.; DS 7/15055) im Sächsischen Landtag in Erster Lesung behandelt werden soll. "Es ist großartig, dass der Landtag wider Erwarten die Reform doch noch anpackt. Dann könnten die Bürger endlich die direkte Demokratie mit einer echten Aussicht auf Erfolg anwenden", sagt Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie. Zugleich warnt der Verein davor, dem Landtag zu ermöglichen, Volksentscheide „von oben“ anzusetzen.

Der Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD sieht vor, die Unterschriftenhürde für Volksanträge auf 0,6 Prozent der Stimmberechtigten zu halbieren. Die Hürde für Volksbegehren, die derzeit bei 13,7 Prozent liegt, soll auf 6 Prozent reduziert werden. Für Volksentscheide, bei denen bislang die Mehrheit der Abstimmenden entscheidet, planen die regierungstragenden Fraktionen die Einführung einer Zustimmungsklausel.

„Niedrigere Hürden für Volksanträge und Volksbegehren sind zwei Schritte nach vorn. Die Zustimmungsklausel beim Volksentscheid wäre ein Rückschritt. Die Abstimmung könnte damit durch die, sich nicht beteiligen, ungültig werden“, so Frank Rosberger, Sprecher des sächsischen Landesvorstandes von Mehr Demokratie. Die Klausel legt fest, dass neben der Mehrheit der Abstimmenden auch ein Fünftel aller Stimmberechtigten zustimmen muss. Für diesen Fall fordert der Fachverband die Koppelung von Volksentscheiden an Wahlen. Das spare Kosten und sorge für eine höhere Beteiligung.

Mehr Demokratie sieht den Vorschlag, das Verfahren der Volksgesetzgebung abzukürzen, indem der Landtag bereits nach einem zu Stande gekommenen Volksantrag mit einfacher Mehrheit einen Volksentscheid ansetzen kann, kritisch. Das Volksbegehren würde entfallen. Ein solch abgekürztes Verfahren in der Hand der Regierung sei missbrauchsanfällig. „Eine Regierung könnte so ein Plebiszit durch die Hintertür ansetzen und sich auf kurzem Wege zu populistischen Vorhaben Zustimmung organisieren. Aus Ungarn wissen wir, dass Plebiszite der Demokratie erheblich schaden können“, so Beck. Öffne der Landtag diese Tür, dürfe eine solche Entscheidung im Parlament nur mit einer Zwei-Drittel- oder gar Drei-Viertel-Mehrheit gefasst werden. Denn auf Volksbegehren und die Unterschriftensammlung zu verzichten, hieße auch, viele Monate weniger für inhaltliche Auseinandersetzungen zu haben.

Mehr Demokratie bedauert, dass die Einführung eines Volkseinwands nicht vorgesehen ist. Mit dem ursprünglich von Ministerpräsident Kretschmer unterbreiteten Vorschlag, der in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, hätte Sachsen Modell für andere Länder werden können. Begrüßt wird die vorgeschlagene Möglichkeit, per Unterschriftensammlung eine Volksklage gegen ein vom Landtag beschlossenes Gesetz beim Verfassungsgericht einzureichen.

 

+++ Hintergrund +++


Volksantrag: Mit einem Volksantrag können die Bürger dem Landtag einen Gesetzentwurf zur Befassung vorlegen. Dafür sind derzeit mindestens 40.000 Unterschriften der zur Landtagswahl stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger nötig. Mit der Verfassungsänderung (Drs.S 7/15055) soll diese Hürde auf 0,6 Prozent der Stimmberechtigten gesenkt werden. Das entspricht derzeit etwas 20.000 Unterschriften.

Volksbegehren: Nimmt der Landtag den im Volksantrag vorgelegten Gesetzentwurf nicht an, können die Antragsteller ein Volksbegehren in Gang setzen, um einen Volksentscheid zu erwirken. Die Unterschriftenhürde für den Volksantrag liegt momentan bei mindestens 450.000 Unterschriften der zur Landtagswahl stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger. Das ist die bundesweit höchste Hürde für Volksbegehren. Mit der Verfassungsänderung soll diese Hürde auf 6 Prozent der Stimmberechtigten gesenkt werden. Das entspricht derzeit etwas 200.000 Unterschriften.

Volksentscheid: Beim Volksentscheid stimmen die Bürgerinnen und Bürger über das Volksbegehren ab. Der Landtag kann einen Gegenentwurf/eine Gegenvorlage mit zur Abstimmung stellen. Bislang entscheidet die einfache Mehrheit der Abstimmenden. Im vorgelegten Gesetzentwurf ist die Einführung eines Zustimmungsquorums in Höhe von 20 Prozent vorgesehen.

Zustimmungsquorum: Ein Zustimmungsquorum legt fest, dass ein bestimmter Prozentsatz der Stimmberechtigten einer Vorlage zustimmen muss, damit der Volksentscheid gültig ist. Es genügt nicht, wenn die einfache Mehrheit der Abstimmenden sich für eine Vorlage ausspricht. Bislang ist Sachsen neben Bayern das einzige Bundesland, in dem es kein Zustimmungsquorum gibt, sondern die einfache Mehrheit der Abstimmenden entscheidet.

Plebiszit: Plebiszite sind Volksabstimmungen„von oben“, die durch eine Mehrheit des Parlaments oder durch die Regierung eingeleitet werden. Von oben angesetzte Abstimmungen, wie etwa der Brexit, unterscheiden sich stark von den von Bürgerinnen und Bürgern initiierten Verfahren. Sie können von Regierungen dazu genutzt werden, ihr Handeln zu bestätigen.

Volkseinwand: Der Volkseinwand ist zweistufiges Verfahren (Volksbegehren plus Volksentscheid) und richtet sich gegen ein vom Parlament beschlossenes Gesetz. Dieses tritt zunächst nicht in Kraft. Es steht unter einem Vorbehalt. Innerhalb einer bestimmten Frist – oft drei Monate oder 100 Tage – kann eine bestimmte Anzahl von Stimmbürgerinnen und -bürger die Durchführung eines Volksentscheids verlangen.

Volksklage: Die Volksklage wäre ein neues Instrument. Gemäß des Gesetzentwurfs sieht sie vor, dass mindestens 0,6 Prozent der Stimmberechtigten Landesgesetze auf deren Verfassungsmäßigkeit überprüfen lassen können. Die Einführung der Volksklage solle der Stärkung des Vertrauens in den Verfassungsstaat dienen, da künftig neben einer parlamentarischen Minderheit oder der Staatsregierung (Artikel 81 Absatz 1 Nummer 2) auch das Volk die Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit der Verfassung überprüfen lassen kann.

 

Der Gesetzentwurf (Drs. 7/15055) kann hier heruntergeladen werden: ws.landtag.sachsen.de/images/7_Drs_15055_0_1_1_.pdf.

 

Für Rückfragen:

Ralf-Uwe Beck, Sprecher des Bundesvorstands von Mehr Demokratie e. V., 0172 7962982
Christian König, Mitarbeiter Mehr Demokratie e. V. Sachsen, 0151 22017276