Mehr Demokratie e. V. begrüßt geplante Verfassungsreform und verlangt Nachbesserungen

+++ Fachverband warnt in Anhörung vor möglichen Plebisziten „von oben“

Anlässlich der heute (1.3.) im Ausschuss für Verfassung und Recht, Demokratie, Europa und Gleichstellung des Sächsischen Landtags stattfindenden Anhörung zur Verfassungsreform (Drs. 7/15055) lobt der Landesverband Sachsen von Mehr Demokratie die Reformbemühungen der Fraktionen. Gleichzeitig mahnt der Fachverband Nachbesserungen an und warnt davor, Plebiszite „von oben“ einzuführen.

„Dass die Reform der Volksgesetzgebung noch kommt, ist ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger. Wir gehen davon aus, dass sich die Abgeordneten der Koalition und der Linken dieser Verantwortung bewusst sind und die Reform beschließen werden“, sagt Frank Rosberger, Sprecher des sächsischen Landesvorstands von Mehr Demokratie.

Der Verein betont, dass Sachsen momentan die bundesweit höchsten Hürden für Volksbegehren hat. Diese Hürde würde mit der Reform erheblich gesenkt. Sachsen würde sich im Vergleich der Bundesländer von Platz 10 auf Platz 5 verbessern. „Bis jetzt ist die Volksgesetzgebung in Sachsen ein Papiertiger. Mit den neuen Regeln würde die direkte Demokratie für die Bürger auch praktisch anwendbar“, so Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie und Sachverständiger bei der Anhörung.

Die vorgeschlagene Einführung von Volksentscheiden per Parlamentsbeschluss lehnt Mehr Demokratie ab. Der Gesetzentwurf sieht vor, das Verfahren der Volksgesetzgebung abkürzen zu können, indem der Landtag bereits nach einem zu Stande gekommenen Volksantrag mit einfacher Mehrheit einen Volksentscheid ansetzen kann. Das Volksbegehren würde entfallen. „Ein solches Verfahren ist missbrauchsanfällig. Eine populistische Regierung könnte so ein Plebiszit durch die Hintertür ansetzen und sich auf kurzem Wege Zustimmung zu Vorhaben organisieren. Aus Ungarn wissen wir, dass Plebiszite der Demokratie erheblich schaden können“, so Beck. Auf Volksbegehren und die Unterschriftensammlung zu verzichten, hieße auch, viele Monate weniger für inhaltliche Auseinandersetzungen zu haben.

Zudem wird die Einführung einer Zustimmungsklausel bei Volksentscheiden kritisiert. Diese legt fest, dass neben der Mehrheit der Abstimmenden auch ein Fünftel aller Stimmberechtigten zustimmen muss. „Kommt diese Hürde, sollten Volksentscheide künftig an Wahltermine gekoppelt werden. Das spart Kosten und sorgt für eine höhere Beteiligung“, sagt Beck.

Mehr Demokratie bedauert, dass die einst von Ministerpräsident Kretschmer vorgeschlagene Einführung eines Volkseinwands nicht mehr vorgesehen ist. Befürwortet wird jedoch der im Regierungsentwurf enthaltene Vorschlag, per Unterschriftensammlung eine Volksklage gegen ein vom Landtag beschlossenes Gesetz beim Verfassungsgericht einreichen zu können.

 

+++ Hintergrund +++

Volksantrag: Mit einem Volksantrag können die Bürger dem Landtag einen Gesetzentwurf zur Befassung vorlegen. Dafür sind derzeit mindestens 40.000 Unterschriften der zur Landtagswahl stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger nötig. Mit der Verfassungsänderung (Drs. 7/15055) soll diese Hürde auf 0,6 Prozent der Stimmberechtigten gesenkt werden. Das entspricht derzeit etwa 20.000 Unterschriften.

Volksbegehren: Nimmt der Landtag den im Volksantrag vorgelegten Gesetzentwurf nicht an, können die Antragsteller ein Volksbegehren in Gang setzen, um einen Volksentscheid zu erwirken. Die Unterschriftenhürde für den Volksantrag liegt momentan bei mindestens 450.000 Unterschriften der zur Landtagswahl stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger. Das ist die bundesweit höchste Hürde für Volksbegehren. Mit der Verfassungsänderung soll diese Hürde auf 6 Prozent der Stimmberechtigten gesenkt werden. Das entspricht derzeit etwas 200.000 Unterschriften.

Volksentscheid: Beim Volksentscheid stimmen die Bürgerinnen und Bürger über das Volksbegehren ab. Der Landtag kann einen Gegenentwurf/eine Gegenvorlage mit zur Abstimmung stellen. Bislang entscheidet die einfache Mehrheit der Abstimmenden. Im vorgelegten Gesetzentwurf ist die Einführung eines Zustimmungsquorums in Höhe von 20 Prozent vorgesehen.

Zustimmungsklausel: Eine Zustimmungsklausel legt fest, dass ein bestimmter Prozentsatz der Stimmberechtigten einer Vorlage zustimmen muss, damit der Volksentscheid gültig ist. Es genügt nicht, wenn die einfache Mehrheit der Abstimmenden sich für eine Vorlage ausspricht. Bislang ist Sachsen neben Bayern das einzige Bundesland, in dem es kein Zustimmungsquorum gibt, sondern die einfache Mehrheit der Abstimmenden entscheidet.

Plebiszit: Plebiszite sind Volksabstimmungen „von oben“, die durch eine Mehrheit des Parlaments oder durch die Regierung eingeleitet werden. „Von oben“ angesetzte Abstimmungen, wie etwa der Brexit, unterscheiden sich stark von den von Bürgerinnen und Bürgern initiierten Verfahren. Sie können von Regierungen dazu genutzt werden, ihr Handeln bestätigen zu lassen.

Volkseinwand: Der Volkseinwand ist ein zweistufiges Verfahren (Volksbegehren plus Volksentscheid) und richtet sich gegen ein vom Parlament beschlossenes Gesetz. Dieses tritt zunächst nicht in Kraft. Es steht unter einem Vorbehalt. Innerhalb einer bestimmten Frist – oft drei Monate oder 100 Tage – kann eine bestimmte Anzahl von Stimmbürgerinnen und -bürger per Unterschriftensammlung einen Volksentscheid verlangen.

Volksklage: Die Volksklage wäre ein neues Instrument. Gemäß dem Gesetzentwurf sieht sie vor, dass mindestens 0,6 Prozent der Stimmberechtigten Landesgesetze auf deren Verfassungsmäßigkeit überprüfen lassen können. Die Einführung der Volksklage solle der Stärkung des Vertrauens in den Verfassungsstaat dienen, da künftig neben einer parlamentarischen Minderheit oder der Staatsregierung (Artikel 81 Absatz 1 Nummer 2) auch das Volk die Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit der Verfassung überprüfen lassen kann.

 

Der Gesetzentwurf (Drs. 7/15055) kann hier heruntergeladen werden: ws.landtag.sachsen.de/images/7_Drs_15055_0_1_1_.pdf.

 

Für Rückfragen:

Ralf-Uwe Beck, Sprecher des Bundesvorstands von Mehr Demokratie e. V., 0172 7962982
Christian König, Mitarbeiter Mehr Demokratie e. V. Sachsen, 0151 22017276